Es gibt kein ehrliches Argument ohne Schiedsrichter spielen zu lassen, außer dass die Bezahlung eingespart wird. Gleichzeitig wird dadurch unseren Jungschiedsrichtern die Chance genommen, erste “angenehmere” Einsatzerfahrungen zu machen. Dass sich untereinander fremde Kinder im goldenen Regel-Lernalter der G+F Mannschaftsspiele unter Zeit-, Gegner- und Erwachsenendruck selbstständig regeln lernen sollen ist an Pseudopädagogik und Scheinheiligkeit nicht zu überbieten.
“Gut gemeint” heißt “schlecht gemacht”
Gegen eine solche Selbstregulation der Kinder sprechen viele Argumente:
– Atersunangemessenheit und einhergehende Überforderung (zum Regeln muss man die regeln alle kennen und das Spiel komplett wahrnehmen können, G+F-Jugendliche lernen das aber noch)
– “(UN)Recht des Lauteren/Stärkeren” – wer leise ist verliert, denn gezählt wird trotzdem…
– zusätzliche psychologische Überforderung durch Zeit- und Gegnerdruck
– die Kindern auf dem Platz kennen nicht mal ihre Namen,
… u.a.
Die Scheinbehauptung “Die können das – ist doch alles glatt gelaufen”
wird leider aus zwei extrem starken Fehlerquellen gespeist:
1. Fehlerquelle:
Es sind mindestens geschätzte 80% des Spielgeschehens zwar eher unproblematisch im Selbstregulierungsprozess. Bei 20% ist es dafür selbst für einen Schiedsrichter schwer zu entscheiden. Die Probleme in den kritischen (gern übersehehenen) “20% Crunch-Time“ können aber den Gedanken des Fairplay mit einem Schlag zunichte machen und Kinder an einer sogenannten Fairplay-Liga zweifeln lassen.
2. Fehlerquelle: Selektive Wahrnehmung
Dass aus der so gepriesenen Selbstregulation resultierende grobe Ungerechtigkeiten und Unfairness von den urteilenden Funktionären vor Ort und auf diversen beschönigenden PR-Flyern usw. einfach ignoriert werden, weil die Brille der Beobachtung (“Fairplayliga ist modern und deshalb gut”) stark selektiert, d.h. negative Begleiterscheinungen werden in der Wahrnehmung umgedeutet oder unter den Tisch fallen gelassen (bewusst/unbewusst) Vergleiche dazu die “Theorie der kognitiven Dissonanz” – ein wissenschaftlich beobachteter Wahrnehmungseffekt.
Diesbezüglich liegen uns viele Erfahrungsberichte leidgeprüfter Übungsleiter von Mannschaften vor, die an sogenannten Faiplay-Turnieren im Raum Kassel teilgenommen hatten. Hier war nach den Spielen immer viel im Nachhinein aufzuarbeiten – vor allem an unfairem Verhalten der anderen Trainer und Spieler.
Tatsächliches Erlernen des Fairplay bedarf bei G+F sozialpädagogische Unterstützung
Wir wollen, dass die Kinder bei einem Wettspiel den Fairnessgedanken tatsächlich erlernen. Das geschieht bei uns im Training mit erläuternden Hilfen des Pädagogen in einer angenehmen Lernatmosphäre z.B. bezüglich des Unterschiedes zwischen “Absicht” und “aus Versehen”. Aus kindlicher Sicht ist erst mal “jeder, der mir weh tut Schuld”. Zur Differenzierung bedarf es da Zeit wie im Training oder die Organisation eines Fairplay-Freundschaftsspieles, das über eine ausreichende Spielzeit verfügt.
Zur Selbstregulation brauchen Kinder Zeit und Freunde
Ein weiteres Problem der “Selbstregulation” in einer Fairplay-Liga ist die Fremdheit der Kinder untereinander. Selbst im Training der Kleinen lernen sich die G- und F-Jugendspieler erst mit der Zeit mit ihren Charaktereigenschaften richtig kennen. Die Kinder eines anderen Vereins sind nicht mal mit Namen bekannt. Auf dem Bolzplatz, der ja oft gerne als Beispiel einer funktionierenden Selbstregulation herangezogen wird, kennen sich die Kinder untereinander, gibt es Hierarchien. Gerechtigkeit ist hier abhängig vom Fairplay-Gedankengut der Ranghöheren – aber keineswegs gottgegeben.
Ungerechtigkeiten sollen von den Trainern mitgeregelt bzw. überstimmt werden – heißt “im Notfall eingreifen”. Dazu müssen beide Trainer gleich fair sein und es darf nicht “um zu viel” gehen… z.B. großer Pokal, Preise wie Trainingslager bei einem Bundesligisten (wie z.B. beim selbst zu regulierenden Sparkassen-Sichtungs-Cup der U11-Spieler in Niedersachsen.).
Ein angenehmes Lernklima ist entwicklungsfördernd – muss aber erst mal geschaffen werden
Der vernachlässigte Aspekt der Entwicklungsförderung wird oft unterschätzt, weil es nicht viele Betreuer bei den Kleinen gibt, die ihre Kinder im Spielgeschehen wirklich entwicklungsfördernd coachen können oder weil es zu wenigen bekannt ist, dass man das Spielgeschehen auch bei den Kleinsten schon toll entwickeln kann. Dazu bedarf es großer Aufmerksamkeit und pädagogisches Wissen und Geschick, will man es wirklich mannschaftlich und gleichzeitig indidividuell gewährleisten. Dafür gewinnt man als gewissenhafter Kindertrainer mehr Zeit =Aufmerksamkeit, wenn sich jemand anderes um die Regeln (=Spielleitung) kümmert (Ecke, Abwurf, Anstoß, Fouls, Hand usw.). der Coach kann sich dann wieder dem Mutmachen, den Freilauf-Hilfen, Lob usw. kümmern.
Die “goldene Mitte”
Das Spiel der Kleinen ganz dem Selbstlauf zu überlassen ist in Bezug auf soziales Verhalten und angemessenes Spielhandeln grob fahrlässig, denn dann werden sich negative Verhaltensweisen und unerwünschte Spielhandlungen ebenfalls verfestigen. Ein gesundes Mittelmaß an “entwicklungsfördernder Einflussnahme” und “freiem Erproben lassen” ist erfahrungsgemäß die goldene Mitte.
Übereinstimmung der meisten Pädagogen gibt es in Bezug auf die Bedeutung eines angenehmen Lernklimas zur Entwicklungsförderung. Hier können “Neutrale Spielleiter = Schiedsrichter” enorm viel beisteuern, weil sie einen erheblichen Verhaltens- und Handlungsdruck bei der Entscheidungsfindung in kritischen Spielsituationen, die schwer zu entscheiden sind, von den Kindern nehmen. Sie entlasten die Kinder damit, die dadurch ihre Aufmerksamkeit wieder mehr dem Spaß am Spiel und somit zeitgleich dem Spiel-Lernen entgegen bringen können. Ebenso wie ihre dezent unterstützenden Trainer am Rand.
Bolzplatz und Verein ergänzen sich – sie sind gegenseitig kein Ersatz
Ein weiterer Aspekt sollte auch nicht außer acht gelassen werden: die Eltern unserer Kinder melden die jungen Fußballer gerade deshalb im Verein an, damit sie das Fußballspielen richtig und in pädagogisch angemessener Begleitung erlernen. Ein Verein verspricht diesen geschützten Rahmen der Könnensentwicklung. Den dürfen wir mit solchen pseudopädagogischen Experimentierfeldern nicht Preis geben – es ähnelt sonst einer vom Verband diktatorisch verordneten “unterlassenen Hilfeleistung” um es mal deutlich auf den Punkt zu bringen.
Auch der Fußball sollte Vater und Mutter ehren…
… und nicht auf die Hinterbänke versetzen, nur weil sich wenige einzelne Eltern oder manchmal auch mehrere einer schlecht geführten Mannschaft daneben benehmen. Sippenhaft ist out! Denn ohne die Eltern gäbe es kein Kinderfußball (Chauffeure, Trikotdeinst u.u.u.)
MfG
Ralf Tarant
M.A. Sport/Pädagogik/Publizistik