Fair-Play-Liga und Aspekte einer Pseudo-Pädagogik …

… Ein Plädoyer für den Einsatz von aktiven Spielleitern/Schiedsrichtern

Dass Kinder im goldenen Regel-Lernalter der G- und F-Jugend in ihren Wettkampfsspielen in Turnieren mit fremden Mannschaften unter Zeit-, Gegner- und Erwachsenendruck ohne Schiedsrichter das “Selber-Regeln” lernen sollen, ist an Pseudopädagogik nicht zu überbieten. Der vorliegende Artikel möchte dies deutlich werden lassen.

Leistungsdruck soll mit dieser Idee angeblich von den Kindern genommen werden können. In Wirklichkeit wollen die Kinder, ab dem Zeitpunkt von dem an sie die Tore beider Mannschaften zählend ins Verhältnis setzen, gewinnen und sich wirkungsvoll am Spielgeschehen beteiligen- ob Fairplayliga, Endspiel, Bolzplatz, Schulhof oder angeleitetes Trainingsspiel. Einige Kinder setzen sich dabei selber sehr stark unter Druck, viele andere weniger und manche auch gar nicht. Der Wunsch nach Selbstwirksamkeit und Mitspielen ist aber allen Kindern in ihrem Lieblingsspiel gegeben.

Insofern sind sie selbstverständlich in allen Fußballgebieten bereit Spielleistungen zu vollbringen, die Einfluss auf den Torerfolg bzw. das Spielgeschehen haben. Logisch. Mit der organisierten Fairplayliga wird – genauer betrachtet – der Leistungsdruck sogar erhöht, weil nun alle zusammen ohne Hierarchie und ohne sich zu kennen immer wieder spielentscheidende Szenen beurteilen und entscheiden müssen, wo sich sogar auch Schiedsrichter mitunter sehr schwer tun. Das schafft zusätzlichen Stress, den die Fairplayliga eigentlich ja wegorganisieren möchte.
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“Gut gemeint” heißt fast immer “schlecht gemacht”

Gegen eine solche Inszenierung der Selbstregulation der Kinder sprechen viele Argumente. Vor allem aber Altersunangemessenheit und damit einhergehend situative Überforderungen. Um etwas zu regeln muss man das Handlungsfeld überblicken können. G+F-Jugendliche lernen das aber noch auf allen Ebenen: in der Sachlogik der Handlungsmöglichkeiten, motorisch  (Technik und Laufbereitschaft) und emotional (Teamspiel/Einzelspiel; verlieren/gewinnen können; Freude/Wut/Stolz/…). Die Folge ist überflüssiger Stress für die 6-8-Jährigen. Auch bei E-Jugendlichen, die das Spiel gerade in all seinen Aktionsmöglichkeiten kennen gelernt haben und darin völlig aufgehen können, ist das im “Eifer des Spielgeschehens” sehr, sehr schwierig. Es gilt dann auch mal das “Recht des Lauteren/Stärkeren/Cleveren”. Zusätzlich wird diese psychologische (Über)Forderung durch Zeit- und Gegnerdruck befeuert.

In Peergroups, in denen sich die Kinder untereinander kennen, wird oft in Regelspielen viel diskutiert, was wichtig ist. Aber in einem von Erwachsenen geschaffenen Turnierspielrahmen ist da in 10-Minuten-Spielen nicht viel Zeit – oder das eigentliche Spiel mit dem Ball tritt in den Hintergrund.
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Die “PR”-Scheinbehauptung “Die können das – ist doch alles glatt gelaufen”
wird leider aus zwei extrem starken Fehlerquellen gespeist:

1. Fehlerquelle: Trügerischer Schein des zeitweise funktionierenden Geschehens
Es sind vielleicht geschätzte gut 80% des Spielgeschehens zwar eher unproblematisch im Selbstregulierungsprozess. Bei vielleicht 20% ist es dafür selbst für einen Schiedsrichter oft sehr schwer zu entscheiden. Die Probleme in den kritischen (gern übersehehenen) “20%  Crunch-Time“ können aber den Gedanken des Fairplay mit einem Schlag in wenigen Sekunden über ungeahndete Ungerechtigkeiten zunichte machen, wie es z.B. in den Vorrunden des E-Jugend-Sparkassen-Cups, bei dem trotz tollster Siegerpreise ebenfalls ganz ohne Spielleitung gespielt wird, immer wieder zu beobachten ist.

2. Fehlerquelle: Selektive Wahrnehmung

Dass aus der so voreilig vom Verband in einer großen Kampagne gepriesenen Selbstregulation auch Szenen grober Ungerechtigkeiten und Unfairness resultieren, wird von urteilenden Funktionären vor Ort und auf  beschönigenden PR-Flyern usw. einfach ignoriert und  runtergespielt. Denn die Brille der Beobachtung (“Fairplay-Liga ist modern, verbandsseitig verordnet und deshalb gut”) selektiert sehr stark, d.h. negative Begleiterscheinungen werden in der Wahrnehmung passend zur eigenen Vorstellung umgedeutet oder entsprechend unter den Tisch fallen gelassen (bewusst/unbewusst). Vergleiche dazu die “Theorie der kognitiven Dissonanz” – ein wissenschaftlich beobachteter Wahrnehmungs- bzw. Verhaltenseffekt.

Ohne Schiedsrichter:
Schlechte Erfahrungen  im Sparkassen-Cup (E-Jgd) und “FairPlay”-Liga

Diesbezüglich liegen uns viele Erfahrungsberichte leidgeprüfter Übungsleiter von Mannschaften vor, die an sogenannten Faiplay-Turnieren (G+F) ohne aktive Spielleitung  im Raum Kassel teilgenommen hatten. Aber auch in den Vor- und Regio-Zwischen-Runden beim Sparkassen-Cup des NFV.

In beiden Organisationsformen war immer viel im Nachhinein aufzuarbeiten – vor allem an ungeklärten Situationen und tatenloser Spielleitung, die zuweilen beim Regio auch immer wieder turnierentscheidend waren, weil z.B. durch einfaches Weiterspielen der E-Jugendlichen unfaire Chrunchtime-Fakten geschaffen wurden. Ja/Nein-Stichworte: Foul, Seitenaus, Spielunterbrechung , Zeitspiel nach Führung bei zentralem Abfiff, keine Nachspielzeit trotz Unterbrechungen u.a. – alles ist mit konkreten Spielen belegt. Immerhin hat der RSV05 durch seine Teilnahme an allen 14 Regio-Turnieren einen großen Erfahrungsschatz an ärgerlichen Spielszenen gesammelt. Achtmal wurde die Ehre erspielt, die Region Südniedersachsen in Barsinghausen zu vertreten, wo es dann weitere tolle Preise zu gewinnen gab …

Im Kreis Göttingen lief es in den von uns besuchten FairPlayLigen bei G+F in der abgelaufenen Saison wesentlich entspannter ab, da hier den Spielleitern die notwendige Einlussnahme gestattet ist und keine großen Preise ausgeschrieben sind – gut so. Wäre dem nicht so gewesen, wären wir gezwungen gewesen die Turniere zum Schutz unserer Jüngsten im G-Jugendbereich abzusagen und eigene Freundschaftsspiele entwicklungsfördernd zu organisieren.
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Zur Selbstregulation brauchen Kinder Zeit und Freunde

Ein weiteres Problem der “Selbstregulation” in einer Fairplay-Liga (aber auch vor allem beim Sparkassen-Sichtungs-Cup für E-Jugend) ist die Fremdheit der Kinder untereinander. Selbst im Training der Kleinen lernen sich die G- und F-Jugendspieler erst mit der Zeit mit ihren Charaktereigenschaften richtig kennen. Die Kinder eines anderen Vereins sind nicht mal mit Namen bekannt. Auf dem Bolzplatz, der ja oft gerne als Beispiel einer funktionierenden Selbstregulation herangezogen wird, kennen sich die Kinder untereinander, gibt es Hierarchien. Gerechtigkeit ist hier letztlich abhängig vom Fairplay-Gedankengut der Ranghöheren – aber keineswegs “gottgegeben”.
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Tatsächliches Erlernen des Fairplay bedarf bei G+F sozialpädagogische Unterstützung

Wir wollen, dass die Kinder bei einem Wettspiel den Fairnessgedanken tatsächlich und selbstverständlich erlernen. Das geschieht bei uns im wöchentlichen Training mit erläuternden Hilfen des Pädagogen in einer angenehmen Lernatmosphäre z.B. bezüglich des Unterschiedes zwischen “Absicht” und “aus Versehen”. Aus kindlicher Sicht ist erst mal “jeder, der mir weh tut Schuld”. Zur Differenzierung bedarf es da Zeit wie im Training oder die Organisation eines Fairplay-Freundschaftsspieles, das über eine ausreichende Spielzeit verfügt.

Konsequenz: weite Fahrten oder Turniere mit Preisen nehmen wir nur auf uns, wenn eine aktive Spielleitung/Schiedsrichter garantiert sind. Für Freundschaftsspiele ohne Zeitdruck sind wir gerne Gast oder Gastgeber – wobei natürlich auch hier eine externe Spielleitung den Trainern im entwicklungsfördernden Coaching hilfreich ist.
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Ein angenehmes Lernklima ist entwicklungsfördernd – Coaching will gelernt sein

Der wichtige Aspekt der Entwicklungsförderung wird oft unterschätzt, weil es nicht viele Betreuer/Trainer bei den Kleinen gibt, die ihre Kinder im Spielgeschehen wirklich entwicklungsfördernd coachen. Nur wenigen Trainern und Funktionären ist es bekannt, dass man das Spielgeschehen auch bei den Kleinsten schon toll entwickeln kann.  (d.h. mit möglichst wenigen durchdachten Infos ein Maximum an Hilfe für selbständiges Spielhandeln erreichen – vorab UND spielbegleitend) Dazu bedarf es großer Aufmerksamkeit sowie pädagogisches Wissen und Geschick, will man es wirklich mannschaftlich und gleichzeitig indidividuell gewährleisten. Die Empfehlung “sich nicht ins Spielgeschehen einzumischen” ist da kontraproduktiv und hilfreich zugleich: hilfreich bezüglich unqualifizierter Spielhandlungshilfen, kontraproduktiv bezüglich entwicklungsförderndes Coaching. Denke, das gilt es einfach seitens der Verbände und ihrer Verantwortlichen klarer zu trennen und nicht in einen Topf zu werfen!
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Ein aktiver Spielleiter/Schiedsrichter schafft Freiräume für Spieler und Coaches

Für entwicklungsförderndes Coaching gewinnt man als gewissenhafter Kindertrainer mehr Zeit (=Aufmerksamkeit), wenn sich jemand anderes um die Regeln (=Spielleitung) kümmert (Ecke, Abwurf, Anstoß, Fouls, Hand usw.). Der Coach kann sich dann wieder dem gezielten und fundiertem Mutmachen, den Freilauf-Hilfen, dem Loben und dem ‘Grenzen setzen’ usw. kümmern. Eine aktive Spielleitung (= Schiedsrichter) entlastet die Trainer und gibt den Kindern ihr Ballspiel zurück, das eigentlich Selbstzweck sein sollte und nicht als Mittel zum Zweck des “Regelauslegungs-Diskutieren” missbraucht (zweckentfremdet) werden sollte.

Übereinstimmung der meisten Pädagogen gibt es in Bezug auf die Bedeutung eines angenehmen Lernklimas zur Entwicklungsförderung. Hier können “Neutrale Spielleiter = Schiedsrichter” enorm viel beisteuern, weil sie einen erheblichen Verhaltens- und Handlungsdruck bei der Entscheidungsfindung in kritischen Spielsituationen, die schwer zu entscheiden sind, von den Kindern nehmen. Sie entlasten die Kinder damit, die dadurch ihre Aufmerksamkeit wieder mehr dem Spaß am Spiel und somit zeitgleich dem Spiel-Lernen entgegen bringen können. Ebenso wie ihre dezent unterstützenden Trainer am Spielfeldrand…
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Die “goldene Mitte” zwischen “laissez faire” und Coaching

Das Spiel der Kleinen ganz dem Selbstlauf zu überlassen ist nicht nur für Gerechtigkeit und Aufmerksamkeitslenkung problematisch sondern vor allem auch in Bezug auf soziales Verhalten und angemessenes Spielhandeln grob fahrlässig. Denn dann werden sich negative Verhaltensweisen (z.B. in die Beine grätschen) und unerwünschte Spielhandlungen (z.B. ziellosen Umherbolzen) ebenfalls verfestigen. Ein gesundes Mittelmaß an “entwicklungsfördernder Einflussnahme” und “freiem Erproben lassen” ist erfahrungsgemäß die goldene Mitte.

Ein einfaches Beispiel soll der Veranschaulichung dienen. Während Kinder als Torwart meist rigoros im Tor stehen bleiben, helfen ihnen die beiden Impulse “Auf der Ballseite aufrücken” und “Andribbeln für einen schönen Pass” sich selbständig in kleinen Gleichzahlspielen wertvolle Torwart-Mitspielpraxis zu holen. Die Mischung macht’s.
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Bolzplatz und Verein ergänzen sich – sie sind gegenseitig kein Ersatz

Ein letzter Aspekt sollte auch nicht außer acht gelassen werden: die Eltern unserer Kinder melden die jungen Fußballer gerade deshalb im Verein an, damit sie das Fußballspielen richtig und in pädagogisch angemessener Begleitung erlernen. Ein Verein verspricht diesen geschützten Rahmen der Könnensentwicklung. Den dürfen wir mit solchen pseudopädagogischen Experimentierfeldern wie dieser von Erwachsenen ausgedachten und verkopften “FairPlayLiga” nicht preis geben – es ähnelt sonst einer vom Verband diktatorisch verordneten “unterlassenen Hilfeleistung” um es mal deutlich auf den Punkt zu bringen. Da ist für die Kinder dann das selbstregulative Bolzen auf dem Spielplatz mit Freunden zehnmal wertvoller …

MfG
Ralf Tarant
M.A. Sport/Pädagogik/Publizistik
tarant@gmx.de

Gute Laune bei der HKM, die mit Schiedsrichtern gespielt wird. Auch hier herrschte in der Spielzeit 2015/16 im Sportkreis Göttingen-Osterode bis in die Endrunde hinein große Entspanntheit und Fairness – wie es der Hallenspielleiter Michael Kreitz am Staffeltag berichtete.

P.S.
Ein NDR-Team, das 2015 zum Thema FairPlayLiga eine Doku gedreht hat, zeigte keine einzige eigene Filmaufnahme wilder erfolgshungriger Eltern. Da mussten schon private Handyaufnahmen als Einspieler dienen. So kann man aus Mücken auch Elefanten machen – mit anderen Worten Stimmung machen. Wobei es unstrittig ist, dass es das auch gibt. Deshalb braucht man aber nicht gleich alle Trainer und Eltern über einen Kamm scheren?

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